Hamburger Springderby:Die Stute weiß, worum es geht

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Elegant übers Hindernis: der deutsche Reiter Marvin Jüngel und seine 15-jährige Fuchsstute Balou's Erbin. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Talentierter, junger Reiter, schlaues, altes Pferd: Beim Derby wiederholt Marvin Jüngel seinen Sieg vom Vorjahr - mit einem in Hamburg seltenen Null-Fehler-Ritt.

Von Gabriele Pochhammer

Einmal kann man Glück haben, beim zweiten Mal ist man ein Könner, so die landläufige Überzeugung. Der 22-jährige Marvin Jüngel und seine 15-jährige Fuchsstute Balou's Erbin dürfen sich nach ihrem zweiten Sieg im Hamburger Springderby in Serie zu den letzteren zählen.

Während sich wenige hundert Meter weiter die Menschenmassen zum Hafengeburtstag durch die Straßen schoben, die Fußballfans den St.-Pauli-Aufstieg feierten und als Folge der Handyverkehr rund um die Elbe zusammenbrach, ritt sich ein junger Mann aus Sachsen in die Geschichtsbücher des Pferdesports. Nur zehn Reitern ist es bisher gelungen, das Springderby zweimal hintereinander zu gewinnen, darunter sind solche Legenden wie Fritz Thiedemann und Nelson Pessoa. Unter ihnen ist Jüngel mit Abstand der Jüngste. Nur zwei von 32 Reitern waren über alle 17 Klippen des Parcours, bis 1,67 Meter hoch, ohne Schaden gekommen, Frederic Tillmann mit Comanche und Jüngel, das waren die Null-Fehler-Ritte Nummer 162 und 163.

"Bei drei Topstars trainieren zu dürfen, besser geht es gar nicht"

Nachdem Tillmann im Stechen den letzten Sprung, eine rote Holzmauer, gerissen hatte, musste Jüngel nur noch ohne Abwurf nach Hause kommen. Er konnte sogar einen Umweg nehmen und den rechten, etwas weiter entfernten Mauerteil anpeilen. "Ich hatte ja im vergangenen Jahr an der Mauer fast einen Fehler und dachte, rechts liegen die Mauerteile etwas fester." Wer taktisch denkt, ist im Vorteil, auch wenn die Fuchsstute die Mauer in diesem Jahr souverän überflog. Zwei Zeitfehler, das reichte zum Sieg vor Tillmann (vier). "Wenn Erbin das Stadion betritt, weiß sie schon, worum es geht", sagt Jüngel. Er gab ihr wieder reichlich Gelegenheit, sich umzusehen. Mit langem Zügel, im Schritt, eine Hand auf dem Oberschenkel ritt er zum Stechen ein. Um Jüngels Coolness muss sich Bundestrainer Otto Becker nicht sorgen.

Auch der zweite Derbysieg bedeutet nicht automatisch den Durchbruch in die internationale Spitze, aber Jüngel hat die Zeit seit seinem Vorjahressieg genutzt. Während seine Reitanlage in Kramenz erweitert wird für noch mehr Pferde und Reitschüler, hat er in den Wintermonaten bei den Topreitern Richard Vogel, dem Weltranglisten-Ersten, David Will, der in Hamburg das Championat gewann, und der Erfolgsreiterin Sophie Hinners trainiert. "Bei drei Topstars trainieren zu dürfen, besser geht es gar nicht", sagt er. "Ich habe von der Zeit in Pfungstadt sehr viel mitgenommen." Unter anderem einen Schwung junger Pferde, denen er Turniererfahrung vermitteln soll. Auch wenn Jüngel noch nicht auf der Liste des Bundestrainers für große internationale Aufgaben steht, "so klopft er doch an die Tür des Spitzensports", sagt David Will. "Marvin hat in Hamburg als 'Wiederholungstäter' seine ganze Qualität und mentale Stärke gezeigt. Auch wenn er im Moment kein Pferd für einen Fünfsterne-Grand-Prix hat, so ist es nur eine Frage der Zeit."

Ob die dann 16-jährige Balou's Erbin 2025 noch mal in den Derbyparcours schreitet, hängt vom Wohlbefinden und ihrer Fitness ab. Einer wird im kommenden Jahr nicht dabei sein, Volker Wulff, Chef der Vermarktungsagentur En Garde, der seit 25 Jahren das Derby zum Florieren brachte. Jetzt wurde sein Vertrag vom Hausherrn, dem Norddeutschen und Flottbeker Reiterverein, nicht verlängert - letztlich ein Rausschmiss. Über die Gründe existieren diverse Versionen, Zahlungen sollen ausgeblieben sein, persönliche Animositäten seien mit dabei gewesen.

Hindernisse, wuchtig und Furcht einflößend, wie der große Wall

Wulff übergibt ein florierendes Derbyturnier. 104 000 Zuschauer kamen in diesem Jahr an den fünf Turniertagen in den Park des Baron von Jenisch, das war ein neuer Rekord, an dem das frühsommerliche Wetter beteiligt war. Auch hochrangige Politiker der Hansestadt, die lange wenig Interesse fürs Derby gezeigt hatten, ließen sich blicken, voran der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher. Wulff hat zusammen mit Paul Schockemöhle, der selbst zwar dreimal Springreiter-Europameister war, aber nie das Derby gewinnen konnte, die Traditionsveranstaltung wieder zu dem gemacht, was sie mal war: eine besondere und schwere Springprüfung mit Hindernissen, die die Spitzenpferde das ganze Jahr über nicht zu sehen bekommen, schlicht in den Farben, wuchtig in den Abmessungen und gelegentlich Furcht einflößend, wie der große Wall, bei dem es aus Pferdeperspektive drei Meter runtergeht, aus Reitersicht noch einen Meter mehr. Mut und Vertrauen sind die Eigenschaften von Derbysiegern.

Daran soll sich nach 124 Jahren in Zukunft nichts ändern, sagt Matthias Rath, der ab 2025 Jahr mit seiner Agentur Schafhof Connect für das Derbyturnier verantwortlich ist. Der Sohn und Enkel zweier Dressur-Olympiasiegerinnen steht zwar auf der Liste der Olympiakandidaten, ist aber nach mäßigem Auftritt in Compiègne (Frankreich) skeptisch, ob er es mit dem Totilas-Sohn Thiago ins Paris-Team schaffen wird. Er hat auch so genug zu tun. Er kommt mit neuem Team, die Sponsorensuche hat begonnen, aber bis zum 31. Dezember hält Volker Wulff noch alle Marketing-Rechte, was den Neustart erschwert. Eine gütliche Einigung ist bisher nicht gelungen. Auch wenn der Übergang nicht reibungslos verlief, am Ende gab man sich versöhnlich. "Wir haben das Derby gelebt und geliebt", sagte Wulff. "Ich wünsche dem Derby alles Gute für die Zukunft, das Derby hat es verdient."

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